RSV-Schutzimpfung bei besonders gefährdeten Patientinnen und Patienten
Zusammenfassung und Empfehlungen
Neben den bekannten schweren Krankheitsverläufen von Respiratory Syncytial Virus (RSV)-Infektionen bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern verursacht RSV insbesondere bei Älteren und bei Menschen mit Immunsuppression, mit hämato-onkologischen Erkrankungen, chronischen Lungenerkrankungen oder kardiovaskulären Erkrankungen eine relevante Morbidität und Mortalität. Im Juni und im August 2023 wurden erstmals wirksame Impfstoffe gegen RSV von der European Medicines Agency (EMA) für die EU zugelassen. Die Zulassungsstudien zeigten eine sehr hohe Effektivität der Impfung in Bezug auf die Verhinderung von schweren RSV-assoziierten Atemwegsinfektionen. Entsprechend der Zulassungsstudien ist die Anwendung auf Personen im Alter von ≥ 60 Jahren beschränkt.
Wir empfehlen eine Anwendung der Impfung bei Personen im Alter von ≥ 60 Jahren. Darüber hinaus empfehlen wir nach individueller Beratung den Einsatz der Impfung bei Erwachsenen jeden Alters mit schweren pulmonalen oder kardiovaskulären Vorerkrankungen und bei Erwachsenen mit einer deutlichen Einschränkung der Immunabwehr. Eine Kostenübernahme kann individuell bei der zuständigen Krankenkasse beantragt werden.
Hintergrund
Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) verursacht weltweit eine hohe Krankheitslast, die in Studien vergleichbar war mit Influenzavirus-Infektionen. RSV-Infektionen gefährden nicht nur Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder, sondern können auch bei älteren und vorerkrankten Erwachsenen schwere Krankheitsverläufe und Komplikationen von vorbestehenden Erkrankungen auslösen. RSV Infektionen bei Erwachsenen werden in der täglichen Praxis nur selten nachgewiesen, da im Gegensatz zu Influenza kein geeigneter Praxistest zur Verfügung steht. Im Jahr 2015 traten schätzungsweise 1,5 Millionen Fälle von RSV-positiven Atemwegsinfektionen bei Erwachsenen über 65 Jahren in den Industrienationen auf [1]. RSV-Infektionen treten saisonal gehäuft in den Wintermonaten auf. Eine aktuelle Kohortenstudie zeigte einen weiteren Anstieg der Häufigkeit von RSV-Infektionen nach den ersten Wellen der COVID-19 Pandemie 2021 [2].
Lebensbedrohliche Verläufe oberer Atemwegsinfektionen mit RSV sind selten, jedoch sind Morbidität und Mortalität bei Menschen, die aufgrund einer RSV-Pneumonie hospitalisiert sind, vergleichbar mit Influenza- und Pneumokokken-Pneumonie. Menschen mit malignen hämatologischen Erkrankungen (z. B. Leukämie, Multiples Myelom), pulmonalen oder kardiovaskulären Vorerkrankungen, und Immunsupprimierte (z.B. systemische Glukokortikoide, Z.n. Transplantation, Neutropenie <500/μl, Lymphopenie <200/μl, Immunglobulinmangel) sind besonders gefährdet, eine schwer verlaufende RSV-Infektion zu erleiden. Neben der Gefahr von akuten, schweren Atemwegsinfektionen erhöht eine RSV-Infektion auch das Risiko für nachfolgende kardiovaskuläre Ereignisse, was zusätzlich zu einer erheblich erhöhten Morbidität und Mortalität, insbesondere bei Menschen mit vorbestehenden kardiovaskulären Risikofaktoren, führt.
Die Behandlungsstrategie der akuten RSV-Infektion ist primär supportiv. Der monoklonale Antikörper Nirsevimab ist seit 2022 zur passiven Immunisierung von Säuglingen zur Prävention einer RSV-Infektion zugelassen, derzeit stehen jedoch keine spezifischen Antikörperpräparate zur Behandlung einer akuten RSV-Infektion bei Erwachsenen zur Verfügung [3].
Im Juni und August 2023 wurden auf Grundlage von zwei großen randomisierten, kontrollierten Studien erstmalig wirksame Impfstoffe gegen RSV von der European Medicines Agency (EMA) für die EU zugelassen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) bewertet aktuell die Datenlage zu diesen Impfstoffen. Ihre Empfehlungen sind von zentraler Bedeutung für die öffentliche Gesundheit.
Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien zu RSV-Impfstoffen
Der unter dem Handelsnamen Arexvy® vermarktete RSV-Impfstoff der Firma Glaxo Smith Kline enthält neben dem viralen, präfusionsstabilisierten F-Protein das Adjuvanz AS01E. Der Impfstoff wurde in der Studie AReSVi-006 auf Wirksamkeit, Immunogenität und Sicherheit einer Einzeldosis des Impfstoffs bei Erwachsenen ≥ 60 Jahre untersucht [4].
Der RSV-Impfstoff wurde 12.464 Erwachsenen im Alter von 60 Jahren und älter verabreicht, während 12.494 Personen ein Placebo erhielten. In der Analyse nach einer RSV-Saison zeigte sich eine Vakzineffektivität von 82,6 % für den Schutz vor einer RSV-assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege, bei 7 Erkrankungen nach der Impfung vs. 40 Erkrankungen im Placebo-Arm. Für den Schutz vor einer schweren RSV-assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege betrug die Vakzineffektivität 94,1 %, bei 1 schweren Erkrankung nach der Impfung vs. 17 schweren Erkrankungen im Placebo-Arm. In der Analyse nach zwei RSV-Saisons zeigte sich eine Vakzineffektivität von 67,2 % für den Schutz vor einer RSV-assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege und von 78,8% vor einer schweren RSV-assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege.
Der unter dem Handelsnamen Abrysvo® vermarktete RSV-Impfstoff der Firma Pfizer ist bivalent und enthält präfusionsstabilisiertes F-Protein von RSV A und B, jedoch kein Adjuvanz. Der Impfstoff wurde in der Studie RENOIR auf Wirksamkeit, Immunogenität und Sicherheit einer Einzeldosis des Impfstoffs bei Erwachsenen ≥ 60 Jahre untersucht [5]. Der RSV-Impfstoff wurde 18.488 Erwachsenen im Alter von 60 Jahren und älter verabreicht, während 18.479 ein Placebo erhielten. In der Interimsanalyse nach einer RSV-Saison zeigte sich bei 11 vs. 33 Erkrankungen eine Vakzineffektivität von 66,7 % für den Schutz vor einer RSV-assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege mit mindestens zwei Zeichen oder Symptomen (Husten, Keuchen, Sputumproduktion, Kurzatmigkeit oder Tachypnoe), die länger als einen Tag anhielten. Für den Schutz vor einer RSV-assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege mit mindestens drei Zeichen oder Symptomen, die länger als einen Tag anhielten, betrug die Vakzineffektivität 85,7 % bei 2 Erkrankungen bei Geimpften und 14 Erkrankungen im Placebo-Arm.
Somit wurden in den beiden Studien insgesamt mehr als 30.000 geimpfte Probanden untersucht. Die Ergebnisse beider Zulassungsstudien belegen die Wirksamkeit beider Proteinimpfstoffe. Beide Impfstoffe verursachten bei Personen ≥60 Jahre Nebenwirkungen, die zumeist innerhalb weniger Tage nach Auftreten abklangen und in Häufigkeit und Intensität vergleichbar mit Impfungen gegen andere respiratorische Viren waren (6, 7). Darüber hinaus wurden keine Sicherheitsbedenken identifiziert.
Diskussion
RSV-Infektionen sind mit einer hohen Krankheitslast assoziiert, insbesondere durch Komplikationen bei vorbestehenden Grunderkrankungen. Erstmals stehen nun effektive Impfstoffe zur Prävention von RSV-Infektionen zur Verfügung, deren hohe Wirksamkeit und Sicherheit in zwei multizentrischen, randomisierten Studien nachgewiesen wurde. Ein breiter Einsatz dieser Impfstoffe könnte in den am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen die direkte Krankheitslast deutlich reduzieren, individuelle Krankheitsverläufe mildern und dazu beitragen, die saisonale Belastung des Gesundheitssystems durch akute Atemwegsinfektionen zu reduzieren. Eine effektive Prävention von RSV-Infektionen kann ferner helfen, schwerwiegende pulmonale und kardiovaskuläre Komplikationen zu verhindern.
Bislang liegen nur Studiendaten für Personen im Alter ≥60 Jahre vor, weshalb die Zulassung des Impfstoffs auf diese Altersgruppe beschränkt ist. Bei schweren Vorerkrankungen, die mit einem hohen Risiko durch RSV-Infektionen verbunden sind, erscheint eine Schutzimpfung auch außerhalb der Zulassung bei Menschen unter 60 Jahren potentiell sinnvoll.
Die Krankheitslast von RSV-Infektionen durch indirekte und verzögert auftretende schwere Komplikationen wird vielfach unterschätzt. Mit den neu zugelassenen Impfstoffen stehen nun effektive und sichere Präventionsmittel zur Verfügung. Es liegt in unserer ärztlichen Verantwortung, die von uns betreuten Hochrisikopatientinnen und -patienten bestmöglich zu schützen. Angesichts der bevorstehenden Wintersaison und der zu erwartenden Infektionswellen, sollte die Prävention mittels nachweislich effektiver und sicherer Impfstoffe eine hohe Priorität genießen. Daher sollte gefährdeten Gruppen neben einer Influenza-, COVID-19- und ggf. Pneumokokken-Impfung auch eine RSV-Impfung angeboten werden. Jeder der beiden RSV-Impfstoffe kann gleichzeitig mit einem saisonalen Influenzaimpfstoff verabreicht werden.
Beide Impfstoffe werden voraussichtlich ab Oktober 2023 in deutschen Apotheken (zum Preis von ca. 213,57 Euro je Einzeldosis) erhältlich sein. Für beide Impfstoffe ist aktuell (Oktober 2023) ein individueller Antrag für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse erforderlich.
Wir verweisen auch auf die Empfehlung zur RSV-Schutzimpfung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie:
https://www.dgho.de/aktuelles/news/news/2023/download/rsv-impfung-20230815.pdf
Literatur
(1) Shi T, Denouel A, Tietjen AK et al.: Global Disease Burden Estimates of Respiratory Syncytial Virus-Associated Acute Respiratory Infection in Older Adults in 2015: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Infect Dis 222(Suppl 7):S577-s583, 2020.
(2) Juhn YJ, Wi CI, Takahashi PY et al.: Incidence of Respiratory Syncytial Virus Infection in Older Adults Before and During the COVID-19 Pandemic. JAMA Network Open 6:e2250634-e2250634, 2023.
(3) https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/beyfortus
(4) Papi A, Ison MG, Langley JM et al.: Respiratory Syncytial Virus Prefusion F Protein Vaccine in Older Adults. N Engl J Med 388: 595-608, 2023.
(5) Walsh EE, Perez Marc G, Zareba AM et al.: Efficacy and Safety of a Bivalent RSV Prefusion F Vaccine in Older Adults. N Engl J Med 388: 1465-1477, 2023.
(6) https://ec.europa.eu/health/documents/community-register/2023/20230606159374/anx_159374_de.pdf
(7) https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/abrysvo-epar-product-information_de.pdf
Diese Empfehlung wurde verfasst von:
Prof. Dr. Marylyn Addo (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung)
Prof. Dr. Oliver Cornely (Uniklinikum Köln, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie)
Prof. Dr. Michael Denkinger (Universitätsklinikum Ulm, Deutsche Gesellschaft für Geriatrie)
Prof. Dr. Georg Ertl (Universitätsklinikum Würzburg, Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin)
Prof. Dr. Susanne Herold (Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Deutsche Gesellschaft für Infektiologie)
Prof. Dr. Mathias Pletz (Uniklinikum Jena, Paul Ehrlich Gesellschaft)
Prof. Dr. Gernot Rohde (Universitätsklinikum Frankfurt a. M., Capnetz Stiftung)
Prof. Dr. Tobias Welte (Medizinische Hochschule Hannover, Deutsches Zentrum für Lungenforschung)
Prof. Dr. Wolfram Windisch, (Klinikum Köln Merheim, Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin; Deutsche Atemwegsliga)
Prof. Dr. Martin Witzenrath (Charité Universitaetsmedizin Berlin, Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin)
Offenlegung potenzieller Interessenskonflikte:
MA erhielt Unterstützung für Forschung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), DZIF, BMBF, CEPI und Honorare von Gilead (Campus Infektiologie).
OC berichtet über Zuschüsse oder Verträge von BMBF, Cidara, EU-DG RTD (101037867), F2G, Gilead, MedPace, MSD, Mundipharma, Octapharma, Pfizer, Scynexis; Beratungsgebühren von Abbvie, AiCuris, Biocon, Cidara, Gilead, IQVIA, Janssen, Matinas, MedPace, Menarini, Moderna, Molecular Partners, MSG-ERC, Noxxon, Octapharma, Pfizer, PSI, Scynexis, Seres; Honorare für Vorträge von Abbott, Abbvie, Al-Jazeera Pharmaceuticals/Hikma, Gilead, Grupo Biotoscana/United Medical/Knight, MedScape, MedUpdate, Merck/MSD, Noscendo, Pfizer, Shionogi, streamedup! Bezahlung für Expertenaussagen von Cidara; Teilnahme an einem Data Safety Monitoring Board oder Advisory Board von Boston Strategic Partners, Cidara, IQVIA, Janssen, MedPace, PSI, Pulmocide, Shionogi, The Prime Meridian Group; Ein Patent beim Deutschen Patent- und Markenamt (DE 10 2021 113 007.7); Aktien von CoRe Consulting, EasyRadiology; Sonstige Interessen von Wiley.
MD erhielt Unterstützung für Forschung von BMBF, GBA, ERASMUS +, DFG, und Honorare von Heel, Pfizer, BMS, Amgen. MD ist ehrenamtliches Mitglied folgender Kommissionen/Vorstände: Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten (Vorstand); Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (Weiterbildung/ Krankenhaus), Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (President Elect), HCPWP (Health Care Professional Working Party) und HCP POG (Policy Officers Group) der EMA für die European Union Geriatric Medicine Society.
GE gibt keine Interessenkonflikte an.
SH erhielt Unterstützung für Forschung von DFG, LOEWE Hessen, BMBF, DZL, DZIF, Institut für Lungengesundheit (IHL), Volkswagenstiftung, sowie Honorare von AstraZeneca, Janssen, Sanofi, Atriva, PTx Partner Therapeutics, Savara.
MP erhielt Unterstützung für Forschung von DFG, BMBF, Pfizer, Correvio, Infectopharm, sowie Honorare von Janssen, MSD, Pfizer, Bayer, Chiesi, GSK, Thermofisher, Infectopharm, Basilea, Curetis, Roche, Novartis, Janssen. MP berichtet über ehrenamtliche Tätigkeiten im Vorstand von DSG, CAPNETZ, PEG (Präsident), Forschungscampus Infectognostics e.V., im Beirat von RKI, WHO, Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung.
GR erhielt Unterstützung für Forschung von BMBF, GSK, sowie Honorare von AstraZeneca, Boehringer, Bayer, Berlin-Chemie, Grifols, Insmed, MSD, Novartis, Pfizer, GSK, Roche. GR ist ehrenamtlich im Vorstand der CAPNETZ Stiftung (Vorsitz) und der Deutschen Atemwegsliga tätig und Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Lungenstiftung.
TW erhielt Unterstützung für Forschung von DFG, BMBF, GSK, sowie Honorare für Vorträge/Ad Board von AstraZeneca, GSK, Jansen, Moderna, MSD, Pfizer, Sanofi-Aventis. TW berät unentgeltlich Leopoldina, EMA, CDC und ist ehrenamtlich Stiftungsrarsvorsitzender von CAPNETZ Stiftung, Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Lungenstiftung, Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Sepsissiftung, Kuratoriumsmitglied der Fraunhofergesellschaft, Kuratoriumsmitglied der Novartisstiftung, Beirat der Deutschen Atemwegsliga, Sprecher der Working Group „Immunity and Vaccination“ der American Thoracic Society
WW gibt keine Interessenkonflikte an.
MW erhielt Unterstützung für Forschung von DFG, BMBF, EKFS, Manchot-Stiftung, Sonnenfeld-Stiftung, Aptarion, Biotest, Pantherna, Vaxxilon, und Honorare von Aptarion, AstraZeneca, Biotest, Chiesi, Gilead, Insmed, Pantherna, Vaxxilon. MW ist ehrenamtliches Mitglied des Vorstands der CAPNETZ Stiftung, des Fachkollegium Medizin der DFG, und der Kommission „Struktur der Krankenversorgung“ der DGIM. Patente: EPO 12181535.1; WO/2010/094491; DE 102020116249.9.