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Versorgungskrise Antibiotika: In Deutschland ein Problem, in Entwicklungsländern eine Katastrophe

Hustensaft, Fieberzäpfchen, Antibiotika – besonders bei Präparaten, die speziell für Kinder zugelassen sind, ist es in den vergangenen Monaten zu Lieferengpässen gekommen. Erstmals und in deutlich abgeschwächter Form erlebt Deutschland damit, was in ärmeren Ländern medizinischer Alltag ist.

In weiten Teilen Afrikas etwa ist der Mangel an wirksamen Antibiotika katastrophal, jedes zehnte Mittel, so schätzt die WHO, ist dort verunreinigt, zu gering konzentriert oder gefälscht. Die Arzneimittelkrise sollte daher als Weckruf verstanden werden, die medizinische Versorgung nicht nur national, sondern auch über Länder- und Kontinent-Grenzen hinweg zu verbessern, forderten Experten im Rahmen des 16. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (KIT), der vergangene Woche in Leipzig stattfand. Gerade Antibiotika, ihre Verfügbarkeit und ihr umsichtiger Einsatz seien entscheidend für die Eindämmung von Infektionen und multiresistenten Erregern, die weltweit ein Problem darstellten.

Um den akuten Antibiotikamangel hierzulande abzufedern, hat das Bundesgesundheitsministerium Ende April offiziell einen „Versorgungsmangel für antibiotikahaltige Säfte für Kinder“ ausgerufen, und es den Bundesländern damit ermöglicht, Importregeln zu lockern und Präparate aus anderen EU-Ländern einzuführen, auch wenn sie in Deutschland nicht zugelassen sind. „Die nun importierten Präparate sind ebenso sicher und wirksam, wie die üblicherweise in Deutschland verschriebenen Mittel – schließlich haben sie eine EU-Zulassung“, versichert Professor Dr. med. Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Viele Hersteller verzichteten schlicht auf eine deutsche Marktzulassung, weil die Gewinnmargen für patentfreie Präparate in Deutschland besonders niedrig seien. „Die zusätzlichen Präparate benötigen wir jetzt, und erst recht im Herbst, wenn die nächste Infektionswelle bei Kindern zu erwarten ist, dringend. Das zugrundeliegende Problem wird mit den Importen allerdings nur verschoben – denn auch fast alle anderen europäische Länder haben einen Mangel an Antibiotika“, so Tenenbaum. „Es kann nicht die langfristige Lösung sein, ihnen die Mittel `wegzuschnappen´!“

Nachhaltige Lösungen sind gefragt

Dass längerfristige und grundsätzliche Veränderungen notwendig sind, hat auch die Politik erkannt. Noch im Sommer soll ein Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen verabschiedet werden, das Gesundheitsminister Karl Lauterbach bereits durchs Bundeskabinett gebracht hat1). Damit soll der deutsche Absatzmarkt wieder attraktiver gemacht werden. „Wie die Lage bei den Antibiotikasäften zeigt, ist das dringend notwendig“, so Professor Dr. med. Christoph Lübbert, Infektiologe und KIT-Kongresspräsident 2023. „Den Preisdruck hier herauszunehmen, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.“ Auch andere Ziele des geplanten Gesetzes – wie die Vereinfachung der Austauschregeln für Apotheken, die langfristige Rückverlagerung von Produktionsstätten nach Deutschland und Europa, sowie die Schaffung von Anreizen für die Entwicklung von Reserveantibiotika – sieht Lübbert als Schritte in die richtige Richtung.

Jedes zehnte Antibiotikum in Afrika minderwertig oder gefälscht

Allerdings kann die Antibiotikakrise nicht allein in Deutschland und auch nicht in Europa gelöst werden. „Der Antibiotikamangel ist ein weltweites Problem, das vor allem in Entwicklungsländern gravierende Auswirkungen hat“, sagt PD Dr. med. Torsten Feldt, Kongresspräsident für die DTG. Was bei uns ein Problem sei, sei dort eine Katastrophe: Besonders in Afrika, aber auch in einigen Ländern Asiens, sei die Sterblichkeit durch Infektionskrankheiten und durch antibiotikaresistente Erreger enorm hoch. Wie WHO-Daten zeigen, ist in den ärmeren Ländern rund jedes zehnte Antibiotikum verunreinigt, zu gering konzentriert oder gefälscht2). „Hinzu kommen strukturelle Probleme wie eine kaum vorhandene Laborkapazität zur Erreger- oder Resistenzbestimmung“, so Feldt weiter. Auch Mängel in der Medizinerausbildung, in der der rationale Einsatz von Antibiotika kaum eine Rolle spiele, trügen zum unsachgemäßen Antibiotikaeinsatz und zur Resistenzentwicklung bei. Mangels Reserveantibiotika seien Antibiotikaresistenzen dann kaum mehr zu behandeln – und bedrohten letztlich auch die westliche Welt. „Multiresistente Erreger kennen keine Landesgrenzen“, so Feldt.

Antibiotikakrise braucht internationale Anstrengungen

Die Experten von DGI, DGPI und DTG fordern daher eine intensive und international abgestimmte Anstrengung, um gegen das weltweite Problem der Antibiotikaresistenzen vorzugehen. „Dazu zählt der Ausbau einer Infrastruktur für Diagnostik und Surveillance der Resistenzlage ebenso wie eine verbesserte Antibiotic Stewardship-Ausbildung“, führt Tropenmediziner Feldt aus. Zudem müsse analysiert werden, welche Antibiotika verfügbar seien und wie sie eingesetzt würden, Gesundheitssysteme müssten gestärkt sowie Lieferketten diversifiziert und gesichert werden. „Weil der Kostendruck oft enorm ist und die wirtschaftlichen Anreize gering, gibt es für manche Wirkstoffe nur eine Handvoll Hersteller weltweit“, so Feldt. Diese Zentralisierung mache den Antibiotikamarkt anfällig für Störungen3). Auch in diesem Punkt müssten Regierungen, die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft und Organisationen wie die WHO noch intensiver zusammenarbeiten.

Die Antibiotikakrise und die Bekämpfung multiresistenter Erreger war auch Thema des KIT, der alle zwei Jahre von der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI), der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit (DTG) ausgerichtet wird. Er fand vom 14. bis 17. Juni in Leipzig statt.

 

Literatur:

1) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/arzneimittelgesetz-kabinett-05-04-23.html

2) https://www.nature.com/articles/nature.2017.23051

3) https://gh.bmj.com/content/6/11/e006961

 

Kontakt für Journalisten:

Juliane Pfeiffer
+49(0)711 / 8931-693/-703
pfeiffer@medizinkommunikation.org

 

Pressemitteilung als PDF zum Download

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