Klug entscheiden-Empfehlungen

Positiv-Empfehlungen

1. Bei einer S.-aureus-Blutstrominfektion soll eine konsequente Therapie sowie Fokussuche und Fokussanierung erfolgen.

Staphylococcus aureus ist einer der häufigsten Ursachen für nosokomiale und ambulant erworbene Blutstrominfektionen und ist mit einer hohen Mortalität von 20–30 Prozent behaftet. Auch eine einzelne positive Blutkultur mit Staphylococcus aureus soll aufgrund der Pathogenität des Erregers, der häufigen Komplikationen und der Rarität einer Kontamination durch diesen Erreger immer als relevant erachtet werden. Zur Verbesserung der Prognose sind verschiedene Strategien im Management gut etabliert. Hierzu gehören die Abnahme von Kontrollblutkulturen zur Dokumentation des Therapieerfolges beziehungsweise zur Feststellung eines komplizierten Verlaufes, die rasche Fokussuche (zum Beispiel Endokarditis) und -sanierung (zum Beispiel rasche Katheterentfernung, Abszessdrainage) sowie die adäquate Antibiotika-Therapie (Schmalspektrum β-Laktam-Antibiotika wie Cefazolin oder Flucloxacillin für Methicillin suszeptiblen S. aureus, MSSA; Minimum 14 Tage i.-v.-Therapie).

2. Bei dem klinischen Bild einer schweren bakteriellen Infektion sollen rasch Antibiotika nach der Probenasservierung verabreicht und das Regime regelmäßig re-evaluiert werden.

Bei klinischem Verdacht auf Meningitis sowie schwerer Sepsis und septischem Schock, die im Rahmen verschiedener Organinfektionen auftreten können, soll rasch eine empirische Antibiotikatherapie begonnen werden; vorab sollen unbedingt geeignete Proben für die Erregersicherung (inklusive ≥ 2 Blutkulturen, jeweils aerob und anaerob) abgenommen werden, ohne dass es zu einem signifikanten Zeitverzug des Therapiestarts kommt. Die empirische Therapie soll regelmäßig reevaluiert und nach Isolierung des verursachenden Erregers an diesen angepasst beziehungsweise abgesetzt werden, wenn der Verdacht auf eine bakterielle Infektion sich nicht bestätigt. Eine Verschmälerung des Wirkspektrums und die Verkürzung der Therapiedauer können zur Reduktion von Resistenzbildungen und Superinfektionen führen.

3. Bei Erwachsenen > 60 Jahre, bei Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung oder erhöhter Exposition sowie bei Personen, die als mögliche Infektionsquelle für Risikopersonen fungieren, soll eine Influenzaimpfung durchgeführt werden.

Ältere, chronisch Kranke und Schwangere haben ein erhöhtes Risiko, an einer schweren Influenza- Infektion mit lebensbedrohlichen Komplikationen zu erkranken. Die Influenzaimpfung ist eine sichere Präventionsmaßnahme, die einem schweren Verlauf der Infektion vorbeugen kann. Die WHO fordert eine Impfrate von mindestens 75 Prozent. Die Impfquoten in Deutschland liegen weit unter den geforderten Raten (2013/14: Ältere: 49 Prozent, Immunsupprimierte: 23 Prozent).

4. Bei Kindern soll eine konsequente Masernimpfung und bei unvollständig (weniger als zweimal) geimpften Personen oder bei Personen mit unklarem Impfstatus, die nach 1970 geboren wurden, eine Nachimpfung durchgeführt werden.

Impfungen gehören zu den wichtigsten und wirksamsten Präventionsmaßnahmen. Die Elimination von Masern ist ein erklärtes nationales und internationales Ziel. Von der Impfung profitiert nicht nur der Geimpfte selbst, sondern durch die Herdenimmunität wird die grundsätzliche Ausbreitung verhindert und gerade die Empfänglichsten mit dem höchsten Risiko (zum Beispiel junge Säuglinge) werden geschützt. Durch Impfungen konnten weltweit die Todesfälle durch Masern zwischen 2000 und 2013 um 75 Prozent (circa 15,6 Millionen Fälle) gesenkt werden. Im Jahr 2013 traten in Deutschland aber statt der für die Elimination von der WHO geforderten Höchstzahl von 80 noch 1 771 Masernfälle auf, fast alle davon bei Ungeimpften.

5. Bei fehlender klinischer Kontraindikation sollen orale statt intravenöse Antibiotika mit guter oraler Bioverfügbarkeit appliziert werden.

Mit verschiedenen Antiinfektiva (zum Beispiel Cotrimoxazol, Clindamycin, Fluorchinolone) können durch eine perorale Gabe für die Therapie ausreichende Plasmaspiegel erreicht werden. Die Möglichkeit einer oralen Antibiotikagabe zu Beginn und im Verlauf einer Therapie sollte regelhaft geprüft werden, da hierdurch die infusionsbedingten Infektionsrisiken sowie Kosten gesenkt und die Mobilität der Patienten erhöht werden können. So wird beispielsweise in den Empfehlungen zur ambulant erworbenen Pneumonie bei hospitalisierten Patienten eine Sequenztherapie nach drei Tagen bei Patienten, die sich klinisch stabilisiert haben, gefordert. Patienten mit klinischen Kontraindikationen wie Resorptionsstörungen oder mit Erkrankungen, für die eine orale Antibiotikatherapie ungeeignet ist (Beispiele: Meningitis, Staphylococcus aureus Bakteriämie, Endokarditis, schwere Sepsis), sollen nach aktuellem Wissensstand ausschließlich eine parenterale Antibiotikatherapie erhalten.

6. Bei Patienten mit Verdacht auf schwere Infektionen sollten – unabhängig von der Körpertemperatur – vor der Gabe der Antibiotika mindestens 2 Blutkulturen-(BK-)Paare an separaten Punktionsstellen abgenommen werden. Die Einhaltung eines zeitlichen Mindestabstands zwischen den BK ist dabei nicht erforderlich.

Schwere Infektionen (u. a. Sepsis, septischer Schock, Meningitis, Pneumonie, Endokarditis), die eine Hospitalisation erfordern, sind eine häufige Erkrankung in der Notaufnahme. Zur optimalen zielgerichteten Therapie ist die Kenntnis des auslösenden Erregers von zentraler Bedeutung. Schwere Infektionen gehen häufig mit einer Bakteriämie einher, zum Beispiel findet sich bei Pneumokokken-Pneumonien in ~ 40 % eine Bakteriämie. Deswegen ist die Blutkultur ein wichtiger diagnostischer Bestandteil. Entgegen früherer Annahmen besteht jedoch keine Korrelation zwischen Fieberanstieg und einer hohen Bakterienlast im Blut. Die Sensitivität der Blutkulturdiagnostik steigt von 73 % bei der Abnahme von nur 1 Paar BK auf 90 % bei 2 Paaren. Bei V. a. Endokarditis sollten immer 3 BK-Paare abgenommen werden. Der zeitliche Abstand ist unwichtig, jedoch sollen die Blutkultursets an separaten Punktionsstellen abgenommen werden, um eventuelle Kontaminationen leicht als solche erkennen zu können. Der Zeitpunkt der Blutabnahme spielt hierbei eine untergeordnete Rolle und sollte den Beginn einer dringlichen kalkulierten Antibiotika- Therapie nicht verzögern.

7. Patientinnen und Patienten, die anamnestisch eine Penicillinallergie angeben, haben in der Mehrzahl der Fälle keine. Sie sollen daher diesbezüglich vor Beginn einer Antibiotikatherapie eingehend zum Beispiel mittels eines Scores evaluiert werden, um den Einsatz von Zweitlinienantibiotika zu vermeiden.

β-Laktam-Antibiotika wie Penicilline spielen eine wesentliche Rolle in der Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten. Circa 5–10 % der Gesamtbevölkerung vermuten, eine Penicillinallergie zu haben. Diese vage Vermutung führt oft zur Dokumentation einer Penicillinallergie, der in der Praxis häufig eine Meidung aller β-Laktam-Antibiotika folgt. In der Mehrzahl der Fälle ist der Verdacht jedoch unbegründet, da nur circa 1 % der Bevölkerung eine echte β-Laktam-Allergie aufweist. Nebenwirkungen der Antibiotika, wie Übelkeit, Diarrhö oder Virusinfektionen mit Exanthemen, können als Allergien fehlgedeutet werden.

Der Einsatz von Zweitlinienantibiotika hat jedoch mögliche negative Folgen wie schlechteres Outcome, vermehrte Resistenzentwicklung, höhere Nebenwirkungsraten und steigende Therapiekosten. Deshalb sollen Personen, die anamnestisch eine Penicillinallergie angeben, eingehend evaluiert werden. Mit der Erhebung der Anamnese sollten diejenigen identifiziert werden, die risikoarm ein Penicillin-Antibiotikum bekommen können. Hierfür bietet sich zum Beispiel ein einfach zu handhabender Score wie der PEN-FAST-Score (https://daebl.de/SG59) an. So lässt sich das Delabeling vereinfachen, das oft durch komplexe Abläufe und sehr ausführliche Fragebögen sowie eine hohe Hemmschwelle und Angst vor Fehlern im Alltag erschwert ist.

Negativ-Empfehlungen

1. Patienten mit unkomplizierten akuten oberen Atemwegsinfektionen inklusive Bronchitis sollen nicht mit Antibiotika behandelt werden.

Klinische Studien konnten vielfach und eindeutig zeigen, dass der Einsatz von Antibiotika bei diesen überwiegend viral bedingten Infektionen keinen Nutzen bringt. Der mögliche Schaden (zum Beispiel Allergien, andere Nebenwirkungen, Resistenzentwicklung) überwiegt deshalb bei weitem. In der klinischen Praxis handelt es sich hier um die häufigste Fehlindikation bei der Verordnung von Antibiotika. Für die USA gibt es Daten, dass zwischen 70 Prozent und 80 Prozent aller Patienten, die sich ambulant in einer Praxis oder Notfallambulanz mit Symptomen einer respiratorischen Infektion vorstellen, Antibiotika verschrieben bekommen.

2. Patienten mit asymptomatischer Bakteriurie sollen nicht mit Antibiotika behandelt werden.

Eine asymptomatische Bakteriurie, der Nachweis von Bakterien im Urin ohne klinische Symptome einer Harnwegsinfektion, hat keinen Krankheitswert und muss deshalb bis auf wenige definierte Ausnahmen nicht behandelt werden. Eine Antibiotikatherapie verhindert auch nicht das Auftreten einer symptomatischen Harnwegsinfektion, sie führt nur zu einer erhöhten Rate unerwünschter Wirkungen. Ausnahmen von dieser Regel bilden nach derzeitigem Kenntnisstand eine Schwangerschaft sowie urologische Eingriffe mit Schleimhautverletzung. Ob eine asymptomatische Bakteriurie nach Nierentransplantation behandelt werden sollte, ist umstritten.

3. Der Nachweis von Candida im Bronchialsekret oder in Stuhlproben stellt keine Indikation zur antimykotischen Therapie dar.

Der Nachweis von Candida in Bronchialsekret oder in Stuhlproben stellt ausschließlich die Besiedlung des Patienten, nicht aber eine Infektion und somit keine Indikation zur antimykotischen Therapie dar. Eine Candida-Besiedlung ist insbesondere bei Patienten nach oder unter einer Therapie mit Breitspektrumantibiotika häufig. Diese Besiedlung führt jedoch nicht zu einer invasiven Infektion der Lunge. So konnte in einer großen prospektiven Autopsiestudie unabhängig vom Candida-Nachweis aus Bronchialsekret histomorphologisch keine Gewebsinvasion durch Candida gezeigt werden.

4. Die perioperative Antibiotikaprophylaxe soll nicht verlängert (das heißt: nach der Operation) fortgeführt werden.

Die perioperative Antibiotikaprophylaxe führt zur Reduktion postoperativer Wundinfektionen. Im Allgemeinen ist eine einmalige Gabe ausreichend; mehrmalige Gaben können bei verlängerten Operationszeiten und erhöhtem Blutverlust notwendig werden. Eine verlängerte Dauer der Antibiotikagabe über 24 Stunden postoperativ hinaus hat keinen Nutzen gezeigt, sondern erhöht das Risiko von unerwünschten Wirkungen und für die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen. Eine postoperativ weitergeführte Antibiotikaprophylaxe soll daher unterlassen werden.

5. Der Nachweis erhöhter Entzündungswerte wie C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin (PCT) allein soll keine Indikation für eine Antibiotikatherapie darstellen.

Entzündungsparameter zeigen einen inflammatorischen Prozess im Körper an, der unterschiedlichste Ursachen haben kann. Sie sind keineswegs spezifisch für Infektionen oder gar für bakterielle Infektionen und müssen deshalb immer im klinischen Kontext interpretiert werden. Erhöhte Entzündungsparameter können Anlass sein, gezielt nach einer Infektion zu suchen. Ohne spezifische klinische Symptomatik für eine Infektion (zum Beispiel Pneumonie, Harnwegsinfektion, Blutstrominfektion etc.) stellen sie keine Indikation für den Einsatz von Antibiotika dar.

6. Oberflächliche Abstriche von chronischen Wunden ohne klinischen Anhalt für eine Infektion sollen nicht entnommen werden. Falls doch abgenommen, sollen die Kulturergebnisse nicht therapiert werden.

Abstriche für mikrobiologische Kulturen von oberflächlichen Wunden sollen nicht durchgeführt werden, wenn diese keine Zeichen einer Infektion, wie Schmerzen, Rötung und Überwärmung der umgebenden Haut und/oder eitrige Beläge, aufweisen. Auch nichtinfizierte Wunden sind häufig mit Bakterien kolonisiert, ohne dass eine Therapieindikation besteht. Die Abstrichergebnisse bilden deswegen Hautflora oder harmlose Besiedelung ab. Trotzdem werden Betroffene mit positiven Abstrichergebnissen meist antibiotisch behandelt. Das führt zu steigender antimikrobieller Resistenz, zu potenziell vermeidbaren Nebenwirkungen und zu höheren Kosten im Gesundheitssystem.

Bei Verdacht auf Infektion von Wunden sollen statt oberflächlicher Abstriche bevorzugt Gewebeproben aus tieferen Gewebeschichten zur mikrobiologischen Untersuchung eingesandt werden. Diese werden bevorzugt intraoperativ entnommen. Durch ein solches Vorgehen ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, den tatsächlich verursachenden Erreger zu identifizieren. Eine Studie, die oberflächliche Wundabstriche mit tiefen Gewebeproben verglich, konnte zum Beispiel zeigen, dass in den oberflächlichen Wundabstrichen nur 75 % der Erreger nachgewiesen wurden, die in tiefen Gewebeproben identifiziert wurden.


Literatur

Bisher veröffentlichte Publikationen der DGI zu „Klug entscheiden“:

  • Jung N, Tometten L, Draenert R: Choosing Wisely internationally – helpful recommendations for antimicrobial stewardship! Infection (2023). https://doi.org/10.1007/s15010-023-02005-y
  • Draenert R, Jung N, the Choosing Wisely (Klug entscheiden) DGI Working Group et al. Update on the „Choosing Wisely“ initiative in infectious diseases in Germany. Infection (2020) 48:317-321 Link
  • Lehmann C, Berner R, Bogner JR et al.: The „Choosing Wisely“ initiative in infectious diseases. Infection (2017) 45: 263 Link
  • Jung N, Lehmann C, Fätkenheuer G: The “Choosing Wisely”: initiative in infectious diseases. Infection (2016) 44:283–290 Link
  • Jung N, Koop H, Riessen R et al.: „Klug entscheiden“ bei Infektionskrankheiten. Internist (2016) 57:527–531 Link
  • Jung N: Klug entscheiden: . . . in der Infektiologie. Dtsch Arztebl (2016); 113(13): A-608 / B-514 / C-510 Link

Weitere Artikel zur „Klug entscheiden“-Initiative:

  • Draenert, R, Eckardt, L, Floege, J et al.: „Klug entscheiden“ in der Inneren Medizin: Acht neue Empfehlungen. Dtsch Arztebl 2024; 19. April 2024, Online first Link
  • Hasenfuß, G: Klug entscheiden: … in der Notaufnahme. Dtsch Arztebl 2018; 115(15): A-704 / B-606 / C-608 Link
  • Hasenfuß, G, Märker-Hermann, E, Hallek, M et al.:Klug entscheiden in der Inneren Medizin. Internist (2016) 57: 521. doi:10.1007/s00108-016-0062-6 Link
  • Hasenfuß, G, Märker-Hermann, E, Hallek, M et al.: Klug entscheiden. Internist (2016) 57: 519. doi:10.1007/s00108-016-0077-z Link